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Bernardo Pinto de Almeida

Katalog „artist portraits“, Porto 1991

Figuration, De-Figuration, Con-Figuration, Trans-Figuration, Per-Figuration im Werk von Stephan Reusse 

 

Figuration

Fotografie ist unter der mechanischen Repräsentationsart eines Abbildes dasjenige, welches in Beziehung mit dem Tod am engsten verbunden ist. Ein fixiertes Abbild anzuschauen, bedeutet als erstes, die Zeit, die in ihm eingefroren ist, zu begreifen. In dieser Beobachtung scheint das Fließen der Zeit in einen für immer unbeweglichen Moment verwandelt zu sein. Jede Fotografie wird nicht in einer Gegenwart, sondern in einer Abwesenheit bemessen, die als Ausgangspunkt agiert.

Fotografie ist nicht, obwohl der chemische Prozeß eine Veränderung impliziert, ein Ritual der Metamorphosen sondern eher der Ausgrenzung. Was immer wir beobachten registriert und verweist zuallererst auf die Abwesenheit des fotografierten Subjektes oder Modells. Das immer Unvollständige einer Aufnahme wird zur Doppelung einer Realität, eine andere Realität.    Beim fotografieren von Künstlern und durch Eingreifen – manchmal mit einer Zusammensetzung fotografischer Fragmente (wie im Fall von John Baldessari’s Portrait, welches stark an seine Arbeit erinnert) oder beim gemeinsamen Eingreifen (wie im Fall Herman Nitsch’s oder ‚Wolf Vostell’s Portraits), welche die Erstellung des Künstlers während einerPerformance hervorruft, oder auch gerade in Caprita Reis‘ Portrait, beim Gebrauch von Gips (ein vorherrschendes Material des Portugiesen) oder bei bloßer Ablichtung der Offensichtlichkeit ihrer Gesichter und anschließenden Präsentation des ganzen `Sets´ in Form von Sequenzen oder Serien von nicht identifizierten Gesichtern – verstärkt Stephan Reusse die Idee der Arbeit mit dem Tod in der Fotografie. Dies wird besonders in dem Portrait von Joseph Beuys klar, bereits verschwunden, erscheint die Fotografie wie ein Verzeichnis. Doch durch eine ähnliche Prozedur tauchen alle anderen Gesichter mit der Intensität auf, welche ihrem zukünftigen Verschwinden gleichkommt. Besonders, wenn emailliert und eingefaßt in eine Aluminiumplatte, erinnert es an die Präsentation eines Grabsteines.

 

De – Figuration

Stephan Reusse charakterisiert seine Modelle nicht, wie es beispielsweise Thomas Ruff tut. Im Gegensatz versucht er Hinweise zu den Arbeiten (oder Haltung zur Kunst) dieser Künstler einzubeziehen. Aber indem er nur Künstler wählt, scheint seine Arbeit eine Art typologischer Fotografie/ anthropologische Ausrichtung, in diesem Fall der Typologie der Künstler. Dies erinnert auch an die ungewöhnliche Auswahl, die der große deutsche Fotograf August Sander zu Beginn des Jahrhunderts getroffen hat, der verschiedene Typen repräsentativ für verschiedene soziale Sphären mit der Objektivität des Anthropologen fotografierte. So wie beim Fotografieren von Künstlern und beim Zeigen des `Sets´ ihrer Gesichter in einer nicht endenden Serie – da es immer die Möglichkeit gibt, neue Gesichter hinzuzufügen, versucht Reusse die unveränderlichen Züge in ihnen aufzugreifen.

Gleich einem Schmetterlingsjäger in einer Miniatursafari sammelt er die – nicht charakteristischen – Züge dieser „Künstlerspezies“. Es ist gleich einer generalisierten Arbeit der Entbildlichung. Durch diesen Prozeß zeigt Reusse, daß sich in den Künstlergesichtern nichts von einem anderen Gesicht unterscheidet. Diese Gesichter zeigen nichts Besonderes, das entweder auf die künstlerische Aktion oder Aktivität des Besitzers verweisen könnte. Es ist lediglich der Name des Künstlers, der uns dann einen Hinweis gibt, der den Bildern die verlorene Aura zurückgibt. Ihre Anonymität agiert als erstes gemeinsames Charakteristikum und von da an wird der nominalistische Charakter, der jeder zeitgenössischen Kunst innewohnt, augenscheinlich. Der Künstlername als Wegweiser zu einem Bild und der es in diesem Fall bewertet. So wird, durch die Person der Bilder, der Moment des Verlustes von Aura ausgeschlossen.

 

Con – Figuration

Wenn sich einer den Titel einer typischen Performance von J. Beuys ins Gedächtnis ruft : „Wie erkläre ich einem toten Hasen die Kunstgeschichte“ – können wir einen Ort für diese Abbilder erkennen. Von sich aus lehren sie uns nichts, es sei denn, sie sind durch eine Unterschrift gerechtfertigt, die den Namen der Modelle angibt, sie identifiziert und somit in ihrer meta-fotografischen Funktionalität bestimmt. Ohne jegliche Unterschrift und somit identitätslos würden sie als bloße Bilder verlorengehen in einer Masse von Abbildern. Mit Unterschrift, die ihnen eine Identität garantiert, wird die einzig mögliche Aura erhöht. Da der Name die Art von Bezeichnung ist, welche das Zeichen der nominell ausgerichteten Kunst ist, wird bei einem Verlust der Aura jedes Image dem Untergang geweiht sein. Und diese nominelle Aura ist Teil der Kunstgeschichte und kann nur verstanden werden, solange es mit einem Referenzsystem – das System der Kunst – einhergeht. Diese Gesichter, in einer traurigen Sequenz ausgerichtet – das Leiden jeder Sequenz – scheinen die gewöhnlichen und verallgemeinerten Abbilder eines großen Friedhofs auszudrücken. Unsere, wie auch der Künstler, endgültige Bestimmung, deren einzige Erinnerung nach dem Tode von der Geschichte gewährleistet wird.

 

Trans – Figuration

In deutscher Kunsttradition verkörpern Stephan Reusses Fotos die anthropologische Dimension einer Kollektion von Typen (in Referenz an Sander) und auch Vorstellung einer Identifikation, die das Handeln als Nachruf aufzeichnet. Eine Art der Sühne für eine kollektive Erinnerung, welche die Leiden des Kriegshorrors tragen. Und so könnte – völlig seriös – diese Serie „Artschwitz“ genannt werden, in welchen wahllose Aufzeichnungen von Gesichtern vorgeschlagen wird, Gesichter die ihren Namen und somit ihrer einzigen Möglichkeit eine Aura wiederzugewinnen, beraubt sind.

Traurige (und mitleidige) Arbeit, welche die Bedingungen eines Zustandes umformt, der jeder Kunst und zeitgenössischen Ästhetik innewohnt. Der Zustand eines Begräbnisses, welcher den vorweggenommenen und von nun an produktiven Tod beweist, wird durch die Rituale der zeitgenössischen Kunst und seiner tragischen Suche nach dem wahren Idealbild gefüttert.

 

Per – Figuration

Innerhalb dieses Kontextes wird deutlich, daß St. Reusses Arbeitsweise, die sehr direkt ist, eher in Richtung Performance tendiert. Seine Fotos erscheinen wie eine Aufzeichnung von Treffen oder kurzen Dialogen. Durch seine Verfahrensweisen, die den Dialog in ein Bild umwandeln, werden tiefe Kenntnis seiner Porträtierten sichtbar. Wie in einer Wüste in der Nomaden wahllos umherkreuzen und weil sie sich begegnen für einen kurzen Moment ein Dialog möglich war – fühlt man durch diesen geteilten Vorgang die unmittelbare Gemeinschaft. In St. Reusses Fotos nimmt diese Begegnung Platz für einen ziemlich definierten Sprachlevel – der eines Bildes, welcher sich im Nachhinein auf dem Weg den jeder Nomade nimmt, verflüchtigt.

Bernardo Pinto de Almeida, Porto 1991 

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