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Carl Aigner

Im Bilde des Lichts

Kommunikative Eigenschaften und Sichtbarkeit im Werk von Stephan Reusse

Die Frage nach der Vergegenständlichung des Bildes bezieht sich also nicht mehr so sehr auf irgendeine Trägerfläche aus Papier oder Zelluloid, das heißt auf einen materiellen Bezugs-Raum, sonder auf die Zeit, auf jene Belichtungszeit, die etwas sichtbar macht oder ein Sehen unmöglich.             Paul Virilio

 

Stephan Reusse gehört einer Künstlergeneration an, in deren Werk sich zwei kunsttheoretische Diskurse kreuzen, aber auch gegenseitig bedingen: der der kommunikativen Eigenschaften (als linguistische, gesellschaftskritische, semiotisch-semiologische Reflexion) und der eines konzeptuellen Kunstverständnisses (welches grundsätzliche Fragestellungen im Hinblick auf Wahrnehmung und Sichtbarkeit tangiert).1

Dabei spielen apparative Medien als Instrumentarien des künstlerischen Diskurses eine dezisive Rolle, vor allem die Photographie, die in den siebziger und achtziger Jahren –in der Transgression traditioneller Bildmedien und Kunstgattungen – ein wichtiges Ferment für Neuorientierungen und Repositionierungen wurde. Es ist das kommunikative Potential photographischer Bilder, welches hier als Substrat fungiert. Dieses Substrat besteht wesentlich aus der Vorkenntnis der Betrachter über das Dargestellte. So ist die Serie „Safari Deutschland“ in diesem Sinne nicht nur eine ironisch-witzige und gesellschaftskritische Reflexion über das Subjekt als ein Anderes, sondern auch kommunikative Praxis im Spannungsfeld von (Selbst-)Inszenierung und Betrachter.

Zu dieser Serie, die von 1984 bis 1986 entstanden ist, gehört auch die köstliche Videoarbeit „Safari Deutschland, Giraffe“. Vorausgesetzt ist hier ein Kanon von „deutschen Haustieren“, die hier als Urlaubsbeute inszeniert werden. Diese photographischen Bilder sind also ikonographische Wirklichkeitssetzung und nicht Realitätsreferenz (wie die photomaterielle Notation – als ob es sich um Bilder aus dem 19. Jahrhundert handelt – zeigt).

Die ebenfalls in den achtziger Jahren entwickelte Serie „Collaborations“ formuliert den kommunikativ-performativen Moment der „Safari“-Bilder anders. Inszenatorische KünstlerInnenportraits und metadiskursive Kunstreflexion ergeben hier ein kommunikatives Schnittfeld, das zu pikturalen KünstlerInnendialogen führt. KünstlerInnen als BilderheldInnen mutieren quasi zu Außerirdischen ihrer jeweiligen eigenen Kunstdiskurse und pluralisieren sich in der photographischen Performanz von Reusse. Das Komische und Selbstironische wird zur kommunikativen (Bilder)Strategie, der sich der Betrachter – im Begehren, durch die Selbstdarstellungen der KünstlerInnen dem Künstlerischen selbst ansichtig werden zu können – nicht zu entziehen vermag. Das „offene Kunstwerk“ (Umberto Eco) wird so zu einer offenen KunstKommunikation, die das Inszenatorische als ästhetische Selbstreflexion begreift und einbindet.

Zu seiner Serie „Collaboration I“ äußert sich Stephan Reusse selbst wie folgt: “Das zu den Abgebildeten Vermittelnde ist nicht das Bild, sondern jeweils eine künstlerische Geste oder performative Zuwendung auf den Anderen. Die Dekonstruktion der meisten Bilder in „Collaboration I“ bedeutet eine Abkehr vom Bild hin zu einer Vermittlung zwischen zwei Ausdrucksformen zweier Menschen. Diese Form der Kommunikation sucht ihre Verbindlichkeit in einem funktional prozessualen Kollaborieren und nicht in einem prototypischen Einzelwerk mit Vorbildcharakter“.2

Reusses Erfahrungen mit dem photographischen Apparat in Verbindung mit konzeptuell-inszenatorischen Bildstrategien führten in den achtziger Jahren zu einer Erweiterung und Neufokussierung des künstlerischen Interesses, Wahrnehmung und Apparativität wurden zu brisanten Fragestellungen. Die Photographie und deren mediale Spezifika wurden – gewissermaßen intrapiktural – zu Auslösern für thermophotographische Untersuchungen und rückten das Bild als Lichtphänomen ins Blickfeld visueller Auseinandersetzungen.3 Die apparativ-chemischen Implikationen ermöglichten Reusse die Thematisierung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Perception und Reception. Die Thermografie als Sehmaschine4 evozierte eine neue, andere Bildbegrifflichkeit, die den Faktor Zeit als Bildgenerator sichtbar macht.

Die Photographie als Schrift des Lichtes (Photo-Graphie) konstituiert erstmals in der Geschichte Bilder als reinen Effekt der Zeit. Das bedeutet, dass das Phänomen Zeit nicht mehr als Thema, sondern als unabdingbarer Bildkonstituens agiert, ohne den das photographische Bild nicht möglich wäre.5 Zeit definiert sich dabei als Faktor des Lichtes, genauer: der Fortbewegungsgeschwindigkeit der Lichtstrahlen.

Für Stephan Reusse ist das Moment des Experimentellen und die Frage nach der Erscheinung von Objekten grundlegend. Es ist kein Zufall, dass als Bildsujets das Animalische (Wölfe) Objekte künstlerischer Begierde sind. Thermographie ist ja auf Körperwärme angewiesen, um Darstellbarkeit zu realisieren. In diesem Punkt ähnelt dieser technische Prozess der Wahrnehmungsweise von Reptilien, mit denen sich Reusse übrigens intensiv beschäftigt hat. Das imaginär Reale der Thermophotographie, die existentiellen Aspekte von Präsenz und Absenz, von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit reflektieren nicht nur Grenzen von Verweisbarkeit und Darstellbarkeit, sondern vor allem auch von Immaterialität und Existenz.

In der Thermographie ist das Bild also Resultat von Zeit als Lichtwärme. Thermographische Bildgewinnung bedeutet referentielle Sichtbarmachung von Unsichtbarem. Die unterschiedlichen Wärmegegebenheiten – als Wärmedifferenz markierbar – sind gleichsam kryptographisch in ihrem Verlauf beschreibbar. Apparative Wahrnehmung ist so zugleich immer „Abbildung“ und Herausbildung. Dieser Aspekt ist ebenfalls eine genuine Implikation der Photographie6.

Die Radikalität des Kunstdiskurses bei Reusse liegt weniger in der Transformation von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, sondern in der nachdrücklichen Konsequenz, mit der er Temporalität als Eigentlichkeit des photothermographischen Bildes begreift. Anders formuliert: Die Thermographie als Schwester der Photographie ist Teil der im 19. Jahrhundert entstandenen Inversion von Zeit und Raum, von Bild und Welt, von Subjekt und Objekt, von Leben und Tod.7 So wie die Photographie ist auch die Thermographie ruinös: sie macht das Gezeigte als Ruine der Zeit sichtbar.

Carl Aigner, Wien 2003

  • Vgl. etwa „Kunst und Medien. Materialien zur documenta 6, hrsg. von Horst Wackerbarth, Kassel: Stadtzeitung und Verlag 1977
  • E-Mail vom 8.9.2003
  • Vgl. dazu etwa Bernd Busch: Belichtete Welt. Eine Wahrnehmungsgeschichte der Fotografie, München hier bitte Verlag ergänzen!!!!1989
  • Paul Virilio: Die Sehmaschine, Berlin: Merve Verlag 1989 (das Zitat zu Beginn wurde dieser Publikation entnommen, S. 139)
  • Siehe dazu: Tomorrow For Ever. Architektur / Zeit / Photographie, hrsg. von Carl Aigner und Hubertus von Amelunxen, Band I „Die Kunst der Zeit“ Köln: DuMont 1999; „Wichtig ist, dass das photographische Bild eine bestätigende Kraft besitz und dass die Zeugenschaft der PHOTOGRAPHIE sich nicht auf das Objekt, sondern auf die Zeit bezieht“, schreibt Roland Barthes, in: derss: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985, S. 99
  • Siehe dazu: Im Reich der Phantome. Fotografie des Unsichtbaren, hrsg. von Carl Aigner, Veit Loers und Urs Stahel, Ostfilder-Ruit: Cantz Verlag 1997; zur Geschichte des Optischen und der Sichtbarkeit siehe die aufschlussreiche Studie Gérard Simon: Der Blick, Das Sein und die Erscheinung in der antiken Optik. Mit einem Anhang: Die Wissenschaft vom Sehen und die Darstellung des Sichtbaren, München: Fink Verlag
  • Die Photographen sind Agenten des Todes, heißt es bei Roland Barthes einmal!

 

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