Überspringen zu Hauptinhalt

Christoph Blase

Ausstellung/Katalog „dem Herkules zu Füßen“, Museum Fridericianum Kassel, Kassel 1989

 

Das Verschwinden der imaginären Skulptur im kaltem Blau

Zu sehen sind 18 Fernseher, die keine Fernseher sind, rechts davon eine sitzende Figur, die schon gar nicht mehr dort war, als die Aufnahme geschah, links dann ein stuhlähnliches Objekt, das nur für diese Aufnahme angefertigt wurde und ansonsten nie in Erscheinung tritt.

Die Fotos von Stephan Reusse sind eigentlich auch gar keine Fotos mehr. Denn was sie zeigen, ist nicht die optische Erscheinung des Gegenstandes, sondern das Abbild seiner Wärmewellen, registriert von einem computergesteuerten Thermographen und digital umgesetzt auf einen Monitor. Solche Geräte werden vor allem in der Medizin und von Architekturbüros benutzt, um zum Beispiel tote Gewebe oder Wärmeverluste bei Gebäuden feststellen zu können. Als Stephan Reusse 1982 begann, damit zu experimentieren, nahm er zunächst Menschen auf oder ein Bettlaken, auf dem kurz zuvor noch jemand gelegen hatte und dessen Wärmestrahlung nun das Bild ergab, in neueren Arbeiten kommt er nun zu konzeptionelleren Kompositionen und die schwarz/weiß Aufnahme wich auch dem blau gefärbten Bild, jene Farbe, wie sie auch der Monitor am Thermographen widergibt und die nun beim Betrachter eine gewisse Neugierde auslöst; diese Bilder, bei denen man nicht genau weiß, was man eigentlich erkennt, erhalten einen seltsamen Charakter.

Die Konturen der Gegenstände sind unscharf, sie werfen keine Schatten und sind auch keine, sie schweben im Dunkel des Raumes, und doch hat man gleichzeitig das Gefühl von wissenschaftlicher Exaktheit. Das Bild des stuhlähnlichen Objektes zum Beispiel ist eine Stahlskulptur, die Reusse durch seine Körperwärme erwärmte und sie dann den empfindlichen Fühlern des Thermographen präsentierte. Um exakt das gewünschte Bild zu bekommen, bedarf es einer peniblen Feinabstimmung am Gerät, es müssen genau die vom Objekt ausgehenden Wärmewellen erfaßt werden und keine anderen, der Raum muß absolut zugfrei sein. In dem Bild mit dem sitzenden Körper hatte sich der Mensch schon längst von seinem Platz entfernt, als seine Wärmestrahlen noch immer ein Abbild ergaben.

“Imaginäre Skulptur“ ist der Begriff, den Reusse für solche Arbeiten verwendet. Und tatsächlich sind seine Dinge imaginär, sie waren so mit dem menschlichen Auge nie zu sehen, ihre Wärmeabstrahlung ist dermaßen gering, daß der Mensch sie nicht erfassen kann, aber er kann sie sich eben vorstellen. Jenen Prozeß, den die Elektronik absolviert und deren Ergebnis wir nur wahrnehmen, zwingt Reusse dem Betrachter zum Nachvollzug auf. Das menschliche Gehirn bekommt an sich abstrakte Informationen, mit denen es wieder zum Bild gelangt und das zum selben Zeitpunkt, wo es doch eigentlich ein Bild vor sich hat, eben das blaue Foto. Aber das, was wir sehen, wird nicht einfach registriert, sondern noch eimal gebrochen durch das Wissen um seinen technischen Entstehungsprozeß. Mit dem Titel der Arbeit “THERMOVISION“ macht Reusse diesen Aspekt noch einmal nach mehreren Seiten deutlich. Es sind keine Visionen, obwohl sie etwas davon haben, sondern reale Thermogramme von Gegenständen, obwohl die Wärme nicht spürbar ist. Gleichzeitig besitzen die Bilder eine Bewegung, man weiß um das allmähliche Erkalten und damit Verschwinden des Gegenstandes, womit ein surreales Moment auftaucht, das vor allem im Film- und Fernsehgenre vorkommt. Und so sind die 18 Fernseher, die dastehen wie eine spiegelnde Medienwand, eben auch keine Fernseher, sondern Kühlboxen, Kästen mit einem eiskalten Innerem, zu deren Produktion sie Wärme brauchen, die wiederum nur im kaltem Blau sichtbar wird.

Christoph Blase, Kassel 1989

An den Anfang scrollen