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Elisabeth Hartung

Zur Ausstellung „Collaboration von Stephan Reusse

Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 13. September 1996

Münchner Kunstverein DG

 

Photographische Porträts von internationalen Künstlern vereint die heute eröffnete Ausstellung von Stephan Reusse. Die Arbeiten repräsentieren nur einen winzigen Ausschnitt aus den zahlreichen Porträts, die Reusse seit über zehn Jahren von seinen Künstler-Kollegen anfertigt. Stars finden sich darunter wir Daniel Buren, Jeff Koons oder Cesar, doch ebenso jüngere Künstler, wie die Brüder Löbberts oder auch von Persönlichkeiten, die nicht im Rampenlicht des Kunstmarktes stehen wie Harry Kramer.

Die hier ausgestellten Arbeiten sind jedoch auch nur ein Teil des vielseitigen künstlerischen Werks von Stephan Reusse. Andere Werkgruppen werden ab nächster Woche im Schloß Arolsen zu sehen sein. So die Sumpfblüten/Pissflowers, die er mit der Chemie seines Körpers entwickelte und die Thermovisionen, die nicht die optische Erscheinung eines Körpers zeigen, sondern ein Abbild seiner Wärmestrahlen. Einen Einblick zu diesen Arbeiten gibt der Katalog, der zu beiden Ausstellungen gemeinsam herausgegeben wurde. Doch bleiben wir in München, bei den Künstlerporträts.

Seit dem Aufkommen der Photographie ist der Künstler eines der Lieblingsmotive der Porträtphotographen geworden. Zahlreiche Aufnahmen sprechen von der Neugier des Menschen, sich ein Bild vom Künstler zu machen, dessen Ziel und Aufgabe es ist, selber Bilder zu entwerfen. Die Bandbreite der photographischen Strategien, mittels der seither Photographen versuchen, den Künstler abzubilden und das Geheimnis des kreativen Prozesses zu lüften, ist immens groß. Sie reicht von den sensiblen Nahaufnahmen Hugo Erfurths, der in der Physiognomie die Individualität des Künstlers zu ergründen suchte, über Hans Namuths oder Fritz Getlings Aufnahmen, die den Künstler im Schaffensprozess versunken porträtierten bis hin zu den Photos von Benjamin Katz, der als rasender Reporter die Akteure der Kunstwelt festhält.

Zu Stephan Reusses Porträtauffassung führt uns direkt der Titel der Ausstellung: Collaboration. Die hier gezeigten Porträts sind allesamt Ergebnisse eines jeweils individuellen Zusammenspiels zwischen ihm und den abgebildeten Künstlern. Es sind keine Schnappschüsse, die den Porträtierten zum Objekt des Photographen machen und ebensowenig sind es Photographien, die die Eitelkeit und die Attitüden der Künstler vorführen, mit denen sie sich in der Kunstszene zu behaupten versuchen. Stephan Reusse ist am Menschen, der sich hinter den Kunstwerken verbirgt, interessiert. Den Weg, sich diesem anzunähern und photographisch festzuhalten, sieht er nur im Dialog und Austausch.

Dialogische Öffnungsprozesse sind in Reusses eigenen Worten Ausgangspunkt und wesentliche Intention seiner gesamten künstlerischen Tätigkeit. Photographie als wichtiges Medium der Kommunikation ist von Anfang an sein zentrales Instrument. Nach Erfahrungen im Photojournalismus, experimentierte er mit in der Medizin angewandten digitalen Bildverfahren und alchemistischen Methoden, um interaktive Verfahren im Bereich der Kunst auszuloten. Parallel dazu nahm er den Kontakt mit Künstlern auf, die Kunst nicht als Selbstfindung, sondern als Kommunikationsprozess im weitesten Sinne verstehen.

Anfang der 80er Jahre entstanden seine ersten Künstlerporträts. Häufig überarbeiteten die Künstler wie etwa Kosuth oder Baldessari ihre Porträts und verknüpften so ihr Bildnis mit ihrer spezifischen künstlerischen Sprache. Daran anschließend entstand eine Serie von Künstler-Porträts, in der Reusse ein Verfahren anwendete, das er während seiner Experimente mit chemischen Prozessen entwickelte. Die Photos der Künstler wurden großformatig abgezogen und anschließend mit einer chemischen Lösung einem Ausbleichprozess ausgesetzt bis nurmehr eine weiße Fläche übrigblieb. Diese konnten die jeweils abgebildeten Künstler mit einer salzhaltigen Lösung reaktivieren. Manche entlockten der Fläche wieder ihr ganzes Porträt, manche holten nur partiell Formen wieder hervor, in dem sie mit der Lösung zeichneten. Joseph Beuys entschied sich, sein Porträt unsichtbar, im weggeätzten Zustand zu belassen.

Die Photographien, die wir hier sehen sind alle in den letzten fünf Jahren entstanden. Während bei den früheren Arbeiten die Künstler auf das Porträt reagierten, indem sie es überarbeiteten, manifestiert sich nun das unmittelbare Zusammenspiel der beiden Partner im Photo selbst. Jetzt steht eindeutig der Mensch im Mittelpunkt, nicht der Künstler. Stephan Reusse geht es nicht um eine Typologie des Künstlers. Insignien seines Berufs oder plakative Hinweise auf seine Arbeit fehlen. Doch auch wenn die Arbeit nicht visuell in Erscheinung tritt, fließt sie ins Porträt ein. Die Kenntnis des Werks läßt sich nicht vom Künstlerporträt trennen.

Austausch mit dem Menschen geht jedem Photo voraus. Wechselseitig werden Situationen durchgespielt, Impulse aufgegriffen und verworfen bis sich gemeinsam eine Bildidee herauskristallisiert. Und so erzählt jedes Photo eine ganz eigene Geschichte.

Die Fußballeidenschaft von Rune Mields offenbarte sich bei einer gemeinsamen stundenlangen Zugfahrt und führte schließlich zu ihrem Porträt als Torwart auf dem Sportplatz. Die Kamerascheue Rosemarie Trockel war zum Phototermin bei einem gemeinsamen Picknick bereit. Der Medienprofi Jeff Koons wollte in seiner Münchner Wohnung alle Register seiner Selbstdarstellungskunst ziehen, bei der Reusse nicht mitspielen wollte. Müde legte er sich in Anwesenheit Stephan Reusses ins Bett, wo die Aufnahme des tatsächlich schlafenden Künstlers entstand.

Alle Porträts sind mit einfachsten Mitteln von Reusse inszeniert. Wie ein Regisseur geht er filmerisch vor. Er versucht Situationen zu schaffen, in denen sich der Mensch im Photo entfalten kann. Die Inszenierung resultiert dabei immer aus dem Dialog der beiden Partner, aus direkter Beobachtung und bewußter Verfremdung. Und sie zielt auf Offenheit in der Aussage.

Die Photos gaukeln uns keinen dokumentarischen Realitätsgehalt vor. Stattdessen spielen sie eher damit, daß Realität häufig nurmehr über Photographie vermittelt erfahren wird. Die Porträts erzählen uns ein Kapitel aus der Geschichte der Porträtierten, in dem das vorher ebenso mitschwingt wie das Danach. Und immer lauert die Möglichkeit, daß es auch ganz anders sein konnte.

Dieses behutsame Vorgehen zeigt sich bei Photos von Rob Scholte und Harry Kramer. Sie vertuschen nicht den tragischen Unfall Scholtes, bei dem er seine beiden Beine verlor und kaschieren nicht das Beatmungsgerät Harry Kramers. Und dennoch wirken sie irreal. Die inszenierten Photos zeigen die unverschlüsselt vorgetragenen Menschenbilder aus einer bewußt subjektiven Sicht und setzen sie nicht effekthascherisch der Sensationslust des Betrachters aus.

An eine eigentümliche Stimmung aus Thomas Manns Zauberberg erinnert das Porträt von Harry Kramer. Durch die nahezu theatralische Interpretation kann der Betrachter Distanz halten oder Identifikation mit den menschlichen Erfahrungen zulassen, von denen die Photos handeln, und die nicht nur auf die abgebildeten Künstler bezogen sind. Gerade dies aber wird besonders nachhaltig verdeutlicht, indem das Alltägliche überzogen dargestellt, inszeniert wird.

Die Porträts Reusses sind nur ein Teil seiner Arbeit und doch verweisen sie als einfachste und unmittelbarste Formen des Austauschs beispielhaft auf seine dialogische Kunstauffassung.

Nichts ist hermetisch in sich abgeschlossen. Es gibt keine klaren Gattungsgrenzen im Werk von Reusse. Die Grenzen sind fließend. Wie sich die Porträts im Dialog mit dem Künstler entwickeln, so entwickeln sich sämtliche Arbeiten aus der jeweiligen Situation heraus im Bezug zum Ort. Dazu gehört die Bereitschaft, immer wieder neu zu reagieren und Veränderungen zuzulassen. Für die Kreation eines schlagkräftigen Markenzeichens ist ein solches Vorgehen nicht geeignet. Doch daran ist Reusse nicht interessiert. Viel wichtiger ist ihm die Freiheit, persönlich bei jeder Arbeit eine individuelle Strategie anzuwenden, sei sie intellektuell, spielerisch, humoristisch oder ernst.

Kunst versteht Reusse als aktiven Prozeß und als geistige Haltung, die nicht von der eigenen Lebenspraxis zu trennen ist. Stephan Reusses Künstlerporträts sind ein Schritt den Dialog zwischen Künstlern wieder aufzunehmen im Bewußtsein, daß Kultur immer dann am größten war, wenn intensiver Austausch auf allen Ebenen stattfand. In Analogie zur Musik könnte man auch sagen, daß sie nur so gut ist, wie jeder, der mitspielt.

Angesichts des gegenwärtigen Kunstbetriebs, in dem lauter Einzelkämpfer um einen Platz im Künstlerhimmel buhlen, lenkt Reusse im Glauben an die Individualität den Blick wieder auf den Menschen hinter der Arbeit und stellt Fragen nach den Grundlagen künstlerischen Handels und seiner Möglichkeiten.

Zuallererst bietet Kunst der sinnlichen Wahrnehmung Formen an und hier liegt ihr kommunikatives Potential, das da ansetzt, wo Sprache nicht mehr funktioniert. Und das soll für mich das Stichwort sein, meine einführenden Worte zu beenden und Sie in den Dialog mit den Photographien Stephan Reusses eintreten zu lassen.

 

© Elisabeth Hartung. München 1996

Vervielfältigung und Abdruck nur nach Absprache.

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