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Burkhard Bensmann

Katalog „Filmrolle/Thermovision“

Spuren des unsichtbaren Körpers

Vergleichbar nur der Spur des Geruchs, hinterläßt der Körper eine Spur der Wärme, den Wärmekörper. Geruch und Wärme unterliegen in der Wahrnehmung einer anderen Zeitlichkeit als das visuell erfaßte Bild.

Der Wärmekörper

Zur Aufrechterhaltung der Kerntemperatur des Körpers wird durch das Blut Wärme an die Körperperipherie transportiert und dort als Temperaturstrahlung freigesetzt. Das größte Organ des Menschen, die Haut, agiert derart in einem interdependenten Prozeß, indem sie nicht nur Wärme abgibt, sondern auch Temperaturstrahlung der Umgebung reflektieren, absorbieren und in tiefere Schichten transmittieren kann.

Unter reproduzierbaren Bedingungen und bei gegebener und gleichbleibender Umgebungstemperatur erzeugt der Körper an der Oberfläche eine Temperaturverteilung, die intraindividuell in hohem Maße konstant und in dieser Hinsicht für das Individuum charakteristisch ist – wie ein Fingerabdruck. Dieser real existiernde, aber mit Hilfe der menschlichen Sinne nur unzureichend erfaßt- und differenzierbare W ä r m e k ö r p e r wird durch die Thermographie graphisch abgebildet. Die auf diese Weise erfaßbare Temperatureigenstrahlung des Körpers liegt im langwelligen Bereich jenseits des sichtbaren Lichtes im Infraroten; sie weist eine wesentlich geringere Intensität als das sichtbare Licht auf. Mit Hilfe spezieller Detektoren, die in diesem Wellenbereich empfindlich sind, wird das empfangene Temperaturmuster via Infrarotkamera zum Wärmebild, zum T h e r m o g r a m m.

Licht/Wärme

Vergleichen wir die Thermographie mit der herkömmlichen Fotografie, die das Spektrum des sichtbaren Lichtes nutzt, so fallen signifikante Unterschiede auf: beide arbeiten unter dem Paradigma der Welle, aber sie bezeichnen durch das jeweils benutzte Spektrum die Kippe zwischen der sinnlichen Erfahrung von Licht und Wärme. Ein wesentlicher referentieller Unterschied besteht darin, daß der fotografisch erfaßte Körper mit relativ hoher Schärfe – zumindest für einen bestimmten Tiefenbereich – abbildbar ist, wogegen sich der Wärmekörper diesem Ideal entzieht, da die thermographischen Stukturen nur unscharf voneinander abgegrenzt sind. Dieses Phänomen erinnert an die fotografischen Kunstgriffe, Zeit innerhalb der Bild- struktur zu codieren, indem z.B. bei Portraits bestimmte Partien bewußt unscharf, quasi verschleiert wiedergegeben wurden, um auf einer symbolischen Ebene die Zeitpunkte der Aufnahme und der Rezeption zu verbinden, so daß die scharf abgebildete Augenpartie den bannenden Blickkontakt herstellt und die unscharfen Regionen ein Eintauchen in den je schon vergangenen Raum zu ermöglichen scheinen. Dieses der Fotgrafie eigene paradoxe Zeit-Raum-Verhältnis kommt in der Thermographie nicht zustande. Vielmehr indiziert das Thermogramm die Untrennbarkeit des Körpers von seiner Umgebung, die ja von der Fotografie auf dem Wege einer zweidimensionalen, auf die zentralperspektivische Sehweise eingefrorenen Abbildes negiert wird. Gerade die physischen, und nicht etwa nur die metaphysischen Formen der Kommunikation des Körpers bleiben in dem Abbild, das die Fotografie liefert, verborgen (zumindest in den konditionierten herkömmlichen Rezeptionsweisen). Die Kommunikationsformen der Absorption, Emission und Transmission von Wärme, die die Thermographie aufzeigen kann, sind, auf einer anderen Ebene, weitere Erschütterungen des an einen – abgegrenzten – Körper gebundenen Subjektbegriffes, welcher eng verknüpft ist mit dem Primat des Auges als Erkenntnisinstrumentes.

Ikonophagie und Kritik der Augentätigkeit  

In der Transformation des Wärmekörpers via Infrarotthermographie wird das Charakteristikum Temperatur in ein dem Auge zugängliches Pattern des sichtbaren Lichts umgewandelt. Dies bedeutet, daß mit diesem Prozeß teilweise die für die Fotografie geltenden und oben z.T. bereits angeführten Umsetzungs- und Reduktionsverfahren auch auf die sinnliche Erfahrung des Wärmekörpers einwirken. Es erfolgt somit keine Verstärkung der Wärmestruktur, um diese dem Tastsinn zugänglich zu machen – was ja denkbar wäre, sondern eine Verschiebung vom Wärme- in den Lichtbereich. Diese Transformation zeigt sich auch in anderen diagnostischen Innovationen der Medizin (z.B. Sonographie, Computer-Tomographie). Selbst eine z.Zt. noch nicht realisierbare holografische Wiedergabe des Wärmekörpers würde das Primat des Auges nicht grundsätzlich erschüttern; zumindest wäre dieses Verfahren, analog zum zweidimensionalen Thermogramm, ein Verweis auf die Vielschichtigkeit und Unbeherrschbarkeit des Sehraumes.

In Bezug auf die bevorzugte Stellung des Auges als Wahrnehmungs- und Erkenntnisinstrument liegen die Gebiete von Kunst und Medizin nicht weit voneinander entfernt. Allerdings zeigt sich in der bildenden Kunst – dies nicht erst seit der Concept-Art – , daß die Künstler die eingeschränkte Wahrnehmung des Auges problematisieren und zum Thema nehmen. Die Entdeckung der Zentralperspektive als wissenschaftlich erfaßbares und präzise einsetzbares Ausdrucksmittel geht einher mit Versuchen (Anamorphosen etc.), diese mathematische Kontrolle des Geometralen zu unterminieren.

Beispiele dieses Jahrhunderts, hier vor allem Marcel Duchamp, zeigen die Aufmerksamkeit, die dieser Problematik des Augenprimates in der Kunst zukommt. Künstler wie Duchamp zeigen Topologien des Wahrnehmungsraumes und seiner Fallen.

In den vorliegenden Arbeiten von Stephan Reusse zeigt sich uns ebenfalls eine sublime Kritik der Augentätigkeit. Nehmen wir die Thermogramme als topographische Karten des Wahrnehmungsraumes, so stellen sie uns vor das Problem der Lesbarkeit. Die weiß aus einem schwarzen/blauen Raum auftauchenden Formen lassen sich anthropomorph deuten, somit ist der erste Reiz im Erkennen des Referenten gegeben. Danach aber verschließen sich die Bilder wieder. Assoziationen an Fotogramme werden wach, jene “lichtreichen Schatten“, die paradoxerweise weiß sind, die sich zumeist, wie die Thermogramme, des undifferenzierbaren und daher unbetretbaren schwarzen Raumes bedienen, der die Illusion der Räumlichkeit gleichzeitig erschafft und zerstört. Gedanken an invertierte Röntgenbilder werden wach, die einen d u r c h k o p i e r t e n Körper jenseits der Oberfläche zeigen. Der größte Reiz der Bilder ist gleichzeitig das größte Problem ihrer Ikonographie: die Unlesbarkeit.

Das Betreten des schwarzen Raumes setzt die Lesbarkeit der topografischen Karte voraus: wir müssen, um nicht einfach dem Reiz zu erliegen, die Bilder nur zu sehen, wissen, wie sie entstanden sind; das Problem liegt nicht zuletzt in der fotografischen Voraussetzung der Thermogramme.

Reusses Auseinandersetzung mit der Fotografie zeigt uns eine Spur, der wir folgen können. Der thermographisch Abzubildene muß – analog zu den ersten Portraits der Fotografie um 1840 – minutenlang bewegungslos verharren, um sich dem bilderzeugenden Apparat einzuschreiben. Das thermographische Verfahren ist im gegenwärtigen Entwicklungsstadium ähnlich träge wie die ersten fotografischen Kameras.

Zeit / Trägheit

In der Trägheit der Bildreferierung liegt allerdings eine weitere Besonderheit der Thermographie, die sie auf signifikante Weise von der Fotografie trennt: ihre besondere und andersartige Beziehung zur Zeit. Die von Reusse aufgearbeiteten Thermogramme sind zumeist mit Zeitdifferenz aufgenommen. Das heißt, daß sich der abgebildete Körper bereits wieder aus dem Bild entfernt hatte (ca. 30 Sek. – 30 Min. Differenz). Dennoch bleibt die Hülle bzw. die Aura zunächst erhalten und abbildbar, denn der Wärmekörper hinterläßt im vergleichsweise trägen Medium Luft eine Wärmespur; derart wird das A u r a t i s c h e des Bildes im thermographischen Prozess erzeugt. Es wird deutlich, daß der Wärmekörper bezüglich der Wahrnehmung (und Transformation) einer anderen Zeitlichkeit unterliegt als der visuell erfahrbare Körper. Die Wärmestrahlung – entsprechend: Wärmeabsorption, -reflexion, -transmission – bildet auf Grund ihrer im Vergleich zum sichtbaren Licht geringeren Intensität und anderen Wellenlänge quasi eine trägere Spur als der reflektierende und absorbierende Licht-Körper. Gleichwohl ist der Wärmekörper ebenso real. Es ist zumindest vorstellbar, daß hypersensible Menschen (wie dies im Ansatz Blinde sein können) diesen Wämekörper erfühlen und derart rekonstruieren können.

Vor diesem Hintergrund erschließen sich uns Reusses Thermogramme als zweidimensionale und transformierte Abbilder eines Körpers des Menschen, den wir mit dem Auge direkt nicht wahrnehmen können und der sich ebenfalls unserem unterentwickelten Tastsinn entzieht. Die Bilder sind ein Hinweis auf die Existenz der Wärmespuren, die wie die Spur des Geruchs gleichzeitig flüchtig und träge sind, sie verweisen als K r y p t o g r a m m e auf die dem Augensinn verborgenen Dimensionen des menschlichen Leibes. Sie bedienen sich des Augenscheins, um auf die Trugschlüsse der dem Auge vertrauenden Erkenntnis aufmerksam zu machen.

Burkhard Bensmann, Kassel 1985

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